INNENANSICHTEN
Mit
70 Jahren ist mein Herz
schon ein wenig verblüht. Meine Gedanken verknüpfen
sich immer gezielter mit den Assoziationen meiner
Erinnerungen, so dass die Freiheit des Handelns nicht mehr
Vergangenheitstunabhängig ist.
Single - Choice -Texte findet man ab einem gewissen Alter
idiotisch. Irgendwann weiß man, dass die meisten Fragen
mehrere Antworten bzw. multiple Choice haben und dass
unauflösliche Widersprüche zur Realität
gehören, ja sogar besondere Erkenntnismöglichkeiten
bieten.
Erkenntnisse aus Zuversicht und Lebensfreude prägten mich
als distanzierten Menschenfreund, Meine
Lebensphilosophie der distanzierten Zuversicht, findet ihren Ursprung
in der familiären Geborgenheit und in meiner jugendlichen
Spontanität und Abenteuerlust. In den
zwischenmenschlichen Liebes-Beziehungen entfaltete sich diese
Zuversicht zu einem Gefühl der Nächstenliebe und
selektierte im zunehmenden Alter in eine Toleranz der Unterschiede.
Wer es dabei schafft, die Kunst der Einschränkung zu erlernen,
um sich auf das Wichtige zu konzentrieren -und manches Liebgewonnne an
den Nagel hängt -, steigert damit sein Wohlbefinden.
Meine analytische Faszination für kosmische Phänomene
basiert auf der Tatsache, dass alle Ereignisse einen universellen
Ursprung beinhalten. Auch wenn vieles ganz anders ist als wir/ich es
wahrnehmen, sind wir ein Teil dieser universellen Evolution, was viel
bedeutender ist als ihre Interpretation.
Machen wir uns einmal bewusst, dass eine klrine
Uregelmäßigkeit im Einklang der Schwerkraft vor 13,7
Milliarden Jahre für die Entstehung der Sterne verantwortlich
war
und der Zufall es so wollte, dass der Staub dieser Sterne, der unser Leben zur
Geburt verhalf, auf unserem Planeten landete. Und nicht genug, auch
unser Stammbaum, dessen Ursprung vor etwa vier Milliarden Jahren aus
einem Bakterium seinen evolutionären Anfang fand und
wahrscheinlich als primitives Kriechtier zu einem Menschenaffen
mutierte, um uns zu dem werden zu lassen was wir heute sind. Es ist,
vorsichtig formuliert, ein einmaliger evolutionärer
Glücksfall. Eine ununterbrochene Reihe von Zygoten und
Zellteilungen haben unsere Gene viele Millionen Generationen
überlebt. Immer haben unsere Zellen es geschafft sich zuerst
zu
zell- teilen. Wenn nur ein einziges Individuum vor erreichen der
Geschlechtsreife zu Grunde gegangen wäre, dann hätten
unsere
Sinne diese Welt nie wahrgenommen. Dieses einmalige Ereignis
ist
nicht nur das Wunder der Schöpfung, sie beinhaltet auch die
evolutionäre Botschaft, dass die Nachkommenschaft und damit
die
jeweilige Gattung Mensch unwiderruflich ausstirbt, wenn sie durch
Unfruchtbarkeit oder durch Unterlassung der Zellbefruchtung
unterbrochen wird.
Wenn auch meine Nachkommenschaft durch zwei Söhne ihren
evolutionären Fortgang sicherstellt, so stellt sich dennoch
die Frage: Wenn es nur um die Fortpflanzung geht, dann hätten
wir doch ein Bakterium bleiben können, warum dieser Aufwand?
Die Tatsache, dass die kosmische Evolution nur durch den Neubeginn und
dessen Vervielfältigung geprägt ist, dass universelle
Ereignisse aus Bewegungen in Zeit und Raum entstehen, dessen
Dimensionen unser Verständnis oft übersteigt, zeigt: dass
Sinn
und Sinnlosigkeit evolutionärer Ereignisse keine
moralische
oder ökonomische Vernunft voraussetzt, sondern, dass Ursache und
Ergebnisse keiner Bestimmung sondern der Spontanität des Zufalls
unterliegen . Die Evolution hat kein Ziel und
kennt keine Vorgaben. Eine Abwägung nach
Aufwand
und Nutzen würde die Spontaneität des Zufalls und
dessen
natürlicher Vielfältigkeit widersprechen. Jede (Gen)-
Manipulation verletzt die Freiheit des ungewollten und damit die
Möglichkeit des Unmöglichen. Wir können nicht das
Schicksal abschaffen um mehr Sicherheit zu bekommen. Die Natur
manipuliert
nicht, sie
besitzt die Weisheit, einer Jahrmillionen alten Evolutionsepoche, die
durch ihre Fähigkeit der symbiotischen Anpassung
überlebt
hat. Ihre Existenz basiert nicht nach dem streben der Vollkommenheit,
sondern nach der
Möglichkeit .
Nur der Mensch kann mit
seinem „Ich-Verständnis“ die Frage stellen: war der Urknall und die damit
eingeleitete evolutionäre Prozess ein zufälliges
Ereignis, oder der gewollte Schöpfungsbeginn einer menschlichen
Entwicklung?
Persönlich glaube ich, dass man auch in dem was man nicht versteht einen Sinn
sehen kann. Denn die Welt, so verkünden viele Philosophen, ist ein
Gedankenunabhängiges Gebäude. Die Suche nach dem Sinn der Dinge lassen sich
nicht durch die Interpretation unserer Wahrnehmung erklären. Allein die
Metaphysik, zwischen der Illusion des Verstandes und dem Sein der Vernunft,
zeigt, dass Objektivität nur hypothetisch sein kann. Fakt ist, dass der Mensch,
als ein universelles Zufallsprodukt, dazu verbannt ist, sein manipuliertes Ich
zwischen der Abhängigkeit seiner Bedürfnisbefriedigung und der Suche nach
Selbstverwirklichung, immer neu zu bestimmen. Diese unausweichliche
Selbstbestimmung basiert auf den egoistischen Trieb zu überleben. Daraus
resultieren gesellschaftliche
Grundbedürfnisse nach Schutz, Geborgenheit, Anerkennung und Liebe.
Aus dieser nazistisch Selbstbestimmung und der
tötliche Wille des Überlebens
resultiert die Leidenschaft und
Neugier nach neuen Erkenntnissen, sie treibt uns seit Uhrzeiten dazu,
nach dem Sinn des Lebens zu fragen. Bei der Suche nach den Antworten auf diese
Urfrage gelangen wir an neue Grenzen mit der alten Erkenntnis unserer
Unwissenheit. Die subjektive Freiheit verliert sich dabei auf
Kosten unserer Leidenschaft.
Ist der Zwiespalt zwischen Ich und Über-Ich, zwischen leben
wollen und sterben müssen, dass göttliche
(universelle) Erbe, das unser Leben lebenswert macht und die Evolution
der Menschheit voran treibt?
Wilfried Louis
2012/2020
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Wilfried Louis Dezember / 2020 © Copyright zurück